Sand ist weltweit ein knappes Gut geworden. In Afrika werden beispielsweise ganze Strände in Nacht- und Nebelaktionen abgegraben und der Sand an die Bauindustrie verkauft. Obwohl Österreich nicht an einen Ozean grenzt, ist das Land in der glücklichen Lage, Sand wie am Meer zu haben. Tu felix Austria!
Und nicht nur Sand, auch Kies, Schotter und riesige Steine sind im Überfluss vorhanden – kurze Transportwege inklusive. Welch ein Luxus! Von dem können andere Länder wie zum Beispiel die Niederlande nur träumen: Dort müssen große Steine u.a. aus Norwegen importiert werden. Dadurch erhalten diese Rohstoffe einen anderen Wert und der Umgang mit ihnen wird bewusster gestaltet.
Auch Urban Mining hat mit dieser Bewusstseinsbildung zu tun: Wollte man diesen Begriff in einem Satz erklären, so könnte dieser lauten: Es ist der bewusste Umgang mit Rohstoffen, die bereits in Bauwerken, Fahrzeugen und Geräten verbaut sind.
Es geht also um Sekundärrohstoffe in der Stadt. Rohstoffe, die unmittelbar vor unserer Haustür lagern und auf die wir zugreifen können. Um das tun zu können, braucht es allerdings Dokumentationen wo, welche und wie viele Rohstoffe verbaut wurden. Es braucht aber auch neue Technologien zum Auffinden und Abbauen dieser urbanen Minen und es braucht – nicht zuletzt – einen gesellschaftlichen Wertewandel hin zum verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen.
Für die Herstellung eines Kubikmeters Beton benötigt man in etwa 1900 Kilogramm Sand/Kies, 300 Kilogramm Bindemittel (zum Beispiel Zement), 190 Liter Wasser sowie die notwendige Energie. Industriebauten haben eine Lebensdauer von zirka 30 Jahren, danach werden sie meist abgerissen. In Österreich werden heute schon um die 80% der mineralischen Rohstoffe recycliert. Das allein ist nicht genug, weil es nur die Quantität beleuchtet, nicht aber die Qualität des Umgangs mit den schon gehobenen und verbauten Rohstoffen.
Urban Mining ist auch keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. So finden sich etwa die fehlenden Steine des Kolosseums in Rom in Mauerteilen umliegender Häuser; griechisch-orthodoxe Kirchen wurden mit Elementen von hellenistischen Tempeln erbaut und viele Teile der Römerstadt Carnuntum dienten den umliegenden Bauern als – einfach zu beschaffendes – Baumaterial.
Überall dort, wo Rohstoffe rar sind oder wo die Primärgewinnung viel teurer ist als die Wiederverwendung oder Wiederverwertung, wurden und werden Rohstoffe im Kreislauf geführt. Das Paradebeispiel dafür sind Metalle. So hat die Rückgewinnung von Kupfer eine mehr als 9000jährige Tradition.
Für mineralische Rohstoffe scheint es in Österreich keinen Bedarf an Urban Mining zu geben. Das scheint auf den ersten Blick zu stimmen und wird es wohl noch einige Zeit bleiben. Aber frei nach Darwin heißt es weit vorausschauend zu denken: „Überleben wird nicht der Stärkste, auch nicht der Intelligenteste, sondern der Anpassungs- und Wandlungsfähigste“.
Dafür gibt es eine Reihe von Gründen:
- Der globale gesellschaftliche Materialverbrauch steigt stetig. Forscher am Institut für Soziale Ökologie der Alpen Adria Universität Klagenfurt haben unlängst eine Studie veröffentlicht, die diesen Verbrauch schätzt: zwischen 1900 und 2010 stieg er um das 23-fache an.
- Zirka die Hälfte des in Österreich anfallenden Mülls stammt im weitesten Sinne aus dem Bereich Bauen. Deponieraum ist nicht unendlich verfügbar.
- Immer mehr Flächen werden durch Bebauung versiegelt und die darunterliegenden mineralischen Rohstoffe für Jahrhunderte „weggesperrt“.
- Siedlungen wachsen an Schotter- und Kiesgruben heran und damit entstehen programmierte Interessenskonflikte zwischen Betreibern und Anrainern.
- Ein mögliches Ansteigen der Preise für fossile Rohstoffe und Energie kann den Primärabbau massiv verteuern.
- Und letztlich wird ein verschwenderischer Umgang mit Ressourcen – auch solchen, die wie Sand am Meer vorkommen und doch endlich sind – gesellschaftlich nicht mehr tragbar sein. In 20 bis 30 Jahren wird „Rohstoffmissbrauch“ so undenkbar sein, wie heute die Vorstellung, dass man jemals in Flugzeugen rauchen durfte.
Urban Mining ist nicht aus einer ökologischen Spinnerei heraus geboren, sondern aus einer ökonomischen Notwendigkeit. Auch die Europäische Union hat das erkannt und sucht den Weg von der Abfallwirtschaft zur Kreislaufwirtschaft. Es gilt einen emotionslosen Rohstoffdiskurs zu führen, der zum einen den verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen vorantreibt und der aber auch zum anderen technische und ökonomische Grenzen einer Kreislaufwirtschaft klar aufzeigt.