Am 19.10.2020 hat die Europäische Kommission ihre jüngste Bewertung des Zustands der Natur in der Europäischen Union veröffentlicht. Der Bericht gibt einen umfassenden Überblick über die Lage der unter die EU-Naturschutzvorschriften fallenden Arten und Lebensräume in Europa, die am stärksten gefährdet sind.

 

Die EU-Mitgliedsstaaten treten beim Schutz der Biodiversität trotz einiger Bemühungen und mancher Verbesserungen insgesamt weiter auf der Stelle. Der Rückgang von geschützten Arten und Lebensräumen hält weiter an und ist hauptsächlich auf Land- und Forstwirtschaft sowie Urbanisierung und Eingriffe in Süßwasser-Lebensräume zurückzuführen. Die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden wirkt sich ebenso auf Lebensräume aus wie der Klimawandel und die übermäßige Ausbeutung von Tieren durch illegale Entnahme sowie unhaltbare Jagd- und Fischfangpraktiken. Wenn nicht dagegen vorgegangen wird, führt dieser Rückgang unweigerlich zu einer weiteren Erosion der Biodiversität und ihres lebenswichtigen Beitrags, sodass letztlich auch die Gesundheit und der Wohlstand der Menschen gefährdet sind.

 

In dem Bericht wird unterstrichen, dass gehandelt werden muss, wenn sich Europas Biodiversität – wie in der neuen EU-Biodiversitätsstrategie vom Mai 2020 vorgesehen – bis 2030 wirklich erholen soll. Vor diesem Hintergrund ist die vollständige Umsetzung der Ziele und Vorgaben, die in der Biodiversitätsstrategie und in der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ vorgeschlagen werden, von grundlegender Bedeutung. Die Biodiversitätsstrategie sieht vor, dass mindestens 30% der Land- und Meeresfläche in der EU bis 2030 unter Schutz gestellt werden sollen – derzeit sind es im Rahmen des europäischen Natura-2000-Netzwerks rund 18%. Solche Flächen dürfen zwar genutzt werden, aber mit Beschränkungen. Ein Drittel der Schutzfläche soll besonders geschützt und quasi naturbelassen werden. Geschädigte Flächen sollen erhalten und wiederhergestellt werden.

 

Die Bewertung, die sich auf einen ausführlichen technischen Bericht der Europäischen Umweltagentur (EUA) stützt, zeigt, dass viele geschützte Arten und Lebensräume dem großen Druck zwar gerade noch standhalten, die Mehrzahl auf EU-Ebene aber in einem schlechten Zustand ist und der Trend für einige immer weiter abwärts geht. Naturschutzrichtlinien und Umweltvorschriften werden nicht ausreichend umgesetzt. Auf lokaler Ebene gibt es jedoch Lichtblicke.

 

Die Verfassung von 63% der fast 1.400 Arten, die unter die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 92/43/EEC fallen, ist demnach mangelhaft oder schlecht. Der größte Anteil an Arten mit schlechtem Erhaltungszustand entfällt auf Süßwasserfische (38%), was in erster Linie an Veränderungen von Gewässern und Wasserströmungs- und Wasserkraftanlagen liegt. Bei den 463 Wildvogelarten in der EU, die unter die Vogelschutzrichtlinie 2009/147/EG fallen, ist der Anteil in gutem Zustand um 5% auf 47% gesunken und der in mangelhaftem oder schlechtem Zustand um 7% auf 39% gestiegen.

 

Bei den Lebensräumen sieht es noch düsterer aus: Dort ist der Status für 81% nicht ausreichend und nur für 15% gut. Wälder weisen dabei noch die besten Trends auf, während sich diese bei Wiesen, Dünen und Mooren stark verschlechtern. Die Renaturierung von Torfmooren und anderen Feuchtgebieten ist nicht nur gut für die Natur, sondern kann auch wesentlich zum Klimaschutz beitragen und in ländlichen und entlegenen Gebieten Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen.

 

Aus dem Bericht geht weiters hervor, dass gezielte Erhaltungsmaßnahmen auch zu Ergebnissen führen. Der Pardelluchs, das Waldren und der Fischotter, für die umfassende Erhaltungsprojekte gestartet wurden, erholen sich nun. Initiativen im Rahmen des EU-Programms LIFE, gezielte Agrarumweltprogramme im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und das Natura-2000-Netz mit seinen 27.000 Gebieten wirken sich nach wie vor positiv aus, aber die Anstrengungen müssen noch erheblich verstärkt werden.

 

Der für Umwelt, Meere und Fischerei zuständige Kommissar Virginijus Sinkevičius erklärte: „Diese Bewertung des Zustands der Natur ist der umfassendste Gesundheitscheck der Natur, der jemals in der EU unternommen wurde. Sie zeigt klar und deutlich, dass wir unsere Lebensgrundlage verlieren. In der EU sind bereits 81% der geschützten Lebensräume in einem schlechten Zustand. Wir müssen die Ankündigungen in der neuen Biodiversitätsstrategie der EU dringend in die Tat umsetzen, um das Ruder herumzureißen – im Interesse der Natur, der Menschen, des Klimas und der Wirtschaft.“

 

Der Exekutivdirektor der Europäischen Umweltagentur, Hans Bruyninckx, sagte: „Unsere Bewertung zeigt, dass sich die Art und Weise, in der wir Lebensmittel erzeugen und konsumieren, Wälder bewirtschaften und Städte bauen, grundlegend ändern muss, wenn wir sowohl die Gesundheit und die Widerstandskraft von Europas Natur als auch das Wohlergehen der Menschen schützen wollen. Die Anstrengungen müssen mit einer besseren Um- und Durchsetzung der Naturschutzpolitik sowie einem Fokus auf Renaturierung und einem zunehmend ehrgeizigen Klimaschutz vor allem im Verkehrs- und Energiesektor einhergehen.“

 

 

Hintergrund

 

Die EU-Mitgliedsstaaten erstatten alle sechs Jahre Bericht über den Erhaltungszustand der durch die EU-Richtlinien geschützten Arten und Lebensraumtypen. Die vorliegende Bewertung des Erhaltungszustands stellt den umfangreichsten und vollständigsten Gesundheitscheck der Natur dar, der jemals in der EU durchgeführt wurde. Im Zuge dieses Berichterstattungszyklus wurden mehr und umfassendere Daten über den Zustand der Natur in Europa gesammelt als je zuvor. Der Bericht umfasst den Zeitraum 2013 bis 2018 und bietet eine Analyse der Daten über Zustand und Trends für alle 460 Wildvogelarten in der EU, für 233 Lebensraumtypen und ca. 1.400 andere Wildpflanzen und -tiere von europäischem Interesse.

 

Die Maßnahmen der EU zum Schutz der Biodiversität werden sich in den kommenden Jahren an diesem Wissen orientieren, das eine maßgebliche Grundlage für die Überwachung der Fortschritte bei der Verwirklichung der Ziele der neuen Biodiversitätsstrategie der EU bis 2030 darstellt. 

 

Die nächste Bewertung des Zustands der Natur in der EU ist für 2026 geplant.

 

 

Der „Bericht über den Zustand und die Trends von unter die Vogelschutz- und die Habitat-Richtlinie fallenden Lebensraumtypen und Arten für den Zeitraum 2013-2018“ ist abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52020DC0635&from=DE