Ein bundesweites Projekt von BirdLife Österreich und dem Forum mineralische Rohstoffe schafft ein Netzwerk an Biotopen für gefährdete Arten und Lebensräume.
Was haben der Triel, die Kreuzkröte und Pfändlers Grabschrecke gemeinsam? Alle drei Arten sind vom Aussterben bedroht und alle drei Arten sind beinahe ausschließlich auf Sand- und Kiesgruben als Lebensraum angewiesen. Die ursprünglichen Lebensräume all dieser Arten stellen unbegradigte Flussufer mit ausgedehnten Sand- oder Kiesbänken dar; Lebensräume, die heutzutage in Österreich praktisch nicht mehr zu finden sind.
Arten‐ und Lebensraumschutz in der Praxis
Jahrzehntelang wurden die Flüsse begradigt und verbaut, sodass diese speziellen Lebensraumtypen mit ihren speziellen Artengemeinschaften vielerorts verschwanden.
Doch viele dieser Spezialisten haben es geschafft, Sekundärlebensräume wie Sand- und Kiesgruben zu besiedeln. Durch den Abbaubetrieb können Lebensräume geschaffen werden, welche jenen des Urlebensraums so sehr ähneln, dass sie von diesen Arten besiedelt werden können. So finden etwa Uferschwalben an steil abgegrabenen Sandwänden optimale Bedingungen für die Anlage ihrer Bruthöhlen; ein Lebensraum, der in der Natur nur noch an unregulierten Flüssen mit steilen, sandigen Prallhängen zu finden ist.
Erodiert jedoch die Steilwand nach Beendigung des Gewinnungsbetriebs, geht auch dieser Lebensraum verloren. Auf der anderen Seite führen Rekultivierungsmaßnahmen bzw. die Verfüllung stillgelegter Sand- und Kiesgruben ebenso dazu, dass der Lebensraum der Uferschwalbe zerstört wird. Für viele Arten bedeutet dies, dass ihre dauerhafte Existenz maßgeblich von der Nutzung eines Abbaugebiets abhängt, Sand- und Kiesgruben jedoch fragile Lebensräume darstellen, die aber bereits durch kleine Maßnahmen bewahrt werden können.
Großes Potenzial in Sand- & Kiesgruben
In einem im Jahr 2019 abgeschlossenen und von der EU und dem Land Niederösterreich geförderten LE‐Projekt „Arten‐ und Lebensraumschutz in Rohstoffgewinnungsbetrieben in Niederösterreich“ konnte das große naturschutzfachliche Potenzial von Rohstoffabbaustätten genutzt werden. In dem vom Forum mineralische Rohstoffe getragenen und von der Vogelschutzorganisation BirdLife Österreich unterstützten Umsetzungsprojekt wurden an die betrieblichen Prozesse angepasste Maßnahmen zur Steigerung der Lebensraumqualität erarbeitet, welche gemeinsam mit den Projektpartnern umgesetzt wurden. „Durch diese enge Zusammenarbeit zwischen BirdLife Österreich, Ingenieurbüros, Wirtschaftsbetrieben sowie dem Forum mineralische Rohstoffe können wechselseitig wertvolle Erfahrungen gesammelt und die innerbetrieblichen Abläufe besser verstanden werden“, betont Gábor Wichmann, Geschäftsführer von BirdLife Österreich.
Das Projekt im Detail
Mineralische Rohstoffe werden in allen Bundesländern Österreichs gewonnen, und so erschien es sinnvoll, in einem auf das niederösterreichische Pilotprojekt aufbauenden bundesweiten LE-Projekt den Naturschutz mit ausgewählten Partnerbetrieben gemeinsam voranzutreiben. Basierend auf den Erfahrungen aus dem vorangegangen niederösterreichweiten Projekt reichte BirdLife Österreich mit dem Projektpartner Forum mineralische Rohstoffe im Jahr 2021 das Projekt „Rohstoffgewinnungsbetriebe als Trittsteinbiotope“ ein. Die Projektlaufzeit war ursprünglich bis Jahresende 2023 vorgesehen, wurde aber bis zum Jahresende 2024 verlängert.
Im Rahmen des Projekts sollen Umsetzungsmaßnahmen für Arten‐ und Lebensraumschutz in Sand‐ und Kiesgruben sowie Steinbrüchen konzipiert und begleitet werden, um das Netzwerk von Trittsteinbiotopen für typische Arten und Lebensräume mit konkreten Umsetzungsmaßnahmen zu verdichten. Die Maßnahmen in diesen Sekundärlebensräumen werden stellvertretend für ausgewählte Zielarten gesetzt, es profitieren jedoch eine Reihe zusätzlicher Arten davon.
Biodiversitätsfördernde Maßnahmen
Das Forum Rohstoffe unterstützt im Projekt, indem es seine Mitglieder zur Teilnahme motiviert, um ein möglichst breites Netzwerk an teilnehmenden Betrieben und damit an Trittsteinbiotopen zu schaffen. Das Anfang 2022 bewilligte Projekt wurde auf Basis des niederösterreichischen Pilotprojekts um eine Liste von Tierarten für das ganze Bundesgebiet erweitert. Für jene Arten stellen Sand- und Kiesgruben sowie Steinbrüche besonders bedeutsame Lebensräume dar. Dazu zählen „Spezialisten“ unter den Vögeln, Amphibien, Libellen, Heuschrecken oder Käfern. Für jede dieser Zielarten und für eine Reihe von Lebensräumen dieser Liste wurden Steckbriefe erstellt. Diese Steckbriefe werden den Abbauunternehmen kostenlos – auch für eine künftige Anwendung nach Projektende – zur Verfügung gestellt.
Beratung durch Biologen
In den Jahren 2022 und 2023 besuchten projektfinanzierte Biologen die teilnehmenden Unternehmen, um gemeinsam mit den Betriebsleitern bei der Begehung des Areals das Potential und Möglichkeiten für biodiversitätsfördernden Umsetzungmaßnahmen zu ermitteln. Dabei wurden auch Erhebungen der vorkommenden Zielarten vorgenommen. In weiterer Folge wurden von den Fachleuten verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen, diskutiert und gemeinsam mit den Betriebsleitern jene ausgewählt, die vom Betrieb freiwillig umgesetzt werden. Die Umsetzung soll für den Betrieb einfach sein und weder erhebliche Kosten noch Betriebserschwernisse bewirken. Die aus dem Projekt entwickelten freiwilligen Maßnahmen sollen nicht schon von behördlichen Bescheiden (Auflagen) umfasst sein, aber solchen auch nicht zuwiderlaufen, was im Einzelfall durchaus nicht auszuschließen ist.
Seltene Libellenart nachgewiesen
Auf den Gewinnungsstandorten einiger teilnehmenden Betriebe gelangen bereits bemerkenswerte Nachweise von seltenen Tierarten und Lebensräumen. So konnte in der Quarzsandgrube in Inning der Quarzwerke Österreich GmbH – Melk (NÖ) an einem Hangwasseraustritt mit kleinen Tümpeln mindesten 15 Individuen der in Niederösterreich vom Aussterben bedrohten Libellenart Kleiner Blaupfeil nachgewiesen werden.
Als wahrscheinlich einfach umzusetzende Maßnahme wurde etwa im oberösterreichischen Werk Redlham (Betrieb Niederndorfer Kieswerke-Transportbeton GmbH) die Erhaltung eines potentiellen Laichgewässers für die in Österreich als gefährdet eingestufte Gelbbauchunke definiert. Hier kann ein Schutz eines Kleinstgewässer dadurch erzielt werden, dass durch interne Absprachen sichergestellt wird, dass das Gewässer in der Fortpflanzungsperiode (März bis September) nicht maschinell durchquert werden darf und dass bei gefährdender Austrocknung im Sommer eine Wiederauffüllung mit Wasser erfolgt.
Löss-Steilwand für Bienenfresser
Eine andere Maßnahme wurde im Kalksteinbruch Bad Deutsch-Altenburg in Niederösterreich (Betrieb Rohrdorfer Sand & Kies GmbH) bereits umgesetzt: Im Bereich der obersten Abbauterrasse, an der Grenze des Abbaubereichs, wurde eine Löss-Steilwand für das aktuelle Vorkommen des Bienenfressers mit 12 Brutpaaren angelegt. Davon profitieren ebenfalls die im Bereich des Hundsheimer Berges vorkommenden zum Teil stark gefährdeten solitär lebenden Bienen- und Wespenarten.
Aktuell beteiligen sich österreichweit 15 Betriebe mit insgesamt 30 Gewinnungsstätten an dem Projekt. Der jeweilige Fortschritt fällt je nach Betrieb und Standort unterschiedlich aus.