Mineralische Rohstoffe unterstützen Europas Übergang zu einer klimaneutralen und kreislauforientierten Wirtschaft. ©FmR

Mitte Juni wurde das EU-Renaturierungsgesetz (Nature Restoration Law) beschlossen. Die “Verordnung über die Wiederherstellung der Natur“ – ein wohlklingender Titel, der berührt, denn schließlich wollen alle eine “intakte“ und “gesunde“ Natur – wurde zuvor im Rahmen des Trilog-Prozesses mit knapper Mehrheit angenommen. Und jetzt? Was sieht dieses Gesetz vor? Inhalt und mögliche Auswirkungen für die mineralische Roh- und Baustoffbranche.

Es bleibt kein Stein auf dem anderen. Die europäische Umweltschutz-Gesetzgebung ist um eine Initiative reicher. Konkret geht es um das neue Renaturierungsgesetz, das Teil des European Green Deals ist und somit zur Erreichung von Klimaneutralität und Nachhaltigkeit in Europa bis 2050 beitragen soll. Unternehmer in der Baustoffwirtschaft Österreichs sind das schon gewohnt. In den letzten Jahren wurden immer mehr Vorschriften und Gesetze zur Bewältigung von Umweltproblemen, zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und zur Erhöhung der Transparenz von Verbraucherinformationen verabschiedet. Spannend wird es für die Branchenteilnehmer dann, wenn es darum geht herauszufinden, wie sich die rechtlichen Vorgaben in der Praxis auswirken. Zu Beginn heißt es die Hintergründe zu kennen. Die Bundesparte Industrie der WKO hat die Eckdaten des EU-Renaturierungsgesetzes kompakt zusammengefasst:

Faktensammlung – um was geht es genau?

  • Das neue Renaturierungsgesetz legt das gemeinsame Unionsziel fest, bis 2030 mindestens 20% der Land- und Meeresflächen der EU und bis 2050 alle Ökosysteme wiederherzustellen, die einer Wiederherstellung bedürfen.
  • Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Mitgliedsstaaten mindestens 30% der unter das neue Gesetz fallende Lebensraumtypen in einen guten Zustand bringen – bis 2040 60% und bis 2050 90%.
  • Im Einklang mit dem Standpunkt des Parlaments haben die EU-Staaten bis 2030 den Schwerpunkt auf Natura-2000-Gebiete zu legen. Sobald ein Gebiet wieder in gutem Zustand ist, müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass es zu keiner wesentlichen Verschlechterung kommt. Sie müssen außerdem nationale Sanierungspläne erstellen, in denen sie angeben, wie sie diese Ziele erreichen wollen.
  • Die Finanzierung kann über bestehende EU-Töpfe wie LIFE, Ländliche Entwickung oder die Aufbau- und Resilienzfazilität kofinanziert werden. Die Hauptlast tragen aber die Bundesländer.
  • Die Verordnung trifft keine Aussagen über Zwangsmaßnahmen. Reichen freiwillige Maßnahmen nicht aus, muss der Staat aber drastischere Mittel wie Enteignungen oder verordnete Maßnahmen wohl in Kauf nehmen, um nicht verklagt zu werden.

    Renaturierung und Steigerung der biologischen Vielfalt sind in Österreichs Rohstoffgewinnungsbetrieben gelebte Praxis. ©FmR

So weit so gut. Von Agrarlandschaften über städtische Grünflächen und Gewässer bis zu den Wäldern – viele unterschiedliche Lebensräume werden von der geplanten EU-Verordnung erfasst. Das betrifft auch die Flächen der Rohstoffgewinnungsbetriebe. Um zu wissen, inwiefern eine Betriebstätigkeit von spezifischen, rechtsverbindlichen Zielen und Verpflichtungen für die Naturwiederherstellung (= habitatbezogene Ziele) betroffen ist, muss man noch tiefer in die Gesetzestexte eintauchen. Die Experten für Umwelt- und Energierecht von Niederhuber & Partner Rechtsanwälte haben in ihrem Newsletter schon Vorarbeit geleistet:

Wichtige Gesetzespassagen für Rohstoffbetriebe

  • Ob und welche Flächen sich in „keinem guten Zustand“ befinden und welche Wiederherstellungsmaßnahmen notwendig sind, um solche Flächen in einen „guten Zustand“ zu überführen, wird in der Verordnung in Bezug auf einzelne Lebensräume und Ökosysteme definiert, wie beispielsweise für Land-, -Küsten und Süßwassersysteme, städtische Ökosysteme, Flüsse und damit verbundene Auen, Bestäuberpopulationen oder landwirtschaftliche Ökosysteme.
  • Die Verordnung enthält diesbezüglich auch Ausnahmetatbestände, die es ermöglichen, gewisse Flächen, die grundsätzlich in „keinem guten Zustand“ wären, von der Wiederherstellungspflicht auszunehmen. Beispielsweise wird Anlagen zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen Vorrang gegenüber Wiederherstellungsmaßnahmen eingeräumt. In diesem Zusammenhang wurde auch vielen Bedenken der Mitgliedstaaten im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens Rechnung getragen und die Verordnung in einigen Bereichen „entschärft“.
  • Kernelement des Wiederherstellungsprozesses ist die Aufstellung eines nationalen Wiederherstellungsplans, in dem die konkreten wiederherzustellenden Flächen sowie die relevanten Wiederherstellungsmaßnahmen anhand der in der Verordnung geregelten Vorgaben von den Mitgliedstaaten bis 2025 festgelegt werden sollen. Dieser muss vor seiner Umsetzung von der EU-Kommission überprüft und freigegeben werden. Die Mitgliedstaaten koordinieren die Erstellung der nationalen Wiederherstellungspläne
  • In Bezug auf Projektverwirklichungen wird es auf den wiederherzustellenden Flächen in Natura 2000-Gebieten weiterhin eine Naturverträglichkeitsprüfung brauchen. Außerhalb von Natura 2000-Gebieten muss im Falle einer „Verschlechterung“ ein überwiegendes öffentliches Interesse gegeben sein und darf keine weniger schädliche Alternative zur Verfügung stehen, wobei für Projekte zur Erzeugung von erneuerbarer Energie eine vereinfachte Prüfung vorgesehen ist: Die Verordnung schreibt diesen Projekten ein überragendes öffentliches Interesse zu und ermächtigt die Mitgliedstaaten, von der Alternativenprüfung sogar gänzlich abzusehen, sofern das Projekt einer SUP oder UVP unterzogen wurde.

Gelebter Standard oder Rohstoffabbau-Bremse?

Wiederherstellungspläne sind für die Branche kein Neuland. In Steinbrüchen, Sand- und Kiesgruben sind Renaturierung und Biodiversität seit Jahrzehnten gelebte Praxis. Die heimischen Unternehmen haben eine wissenschaftlich sowie politisch bestätigte Erfolgsbilanz, was ihre Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt betrifft. Sie haben bewiesen, dass ihre Tätigkeiten im Einklang mit der Natur entwickelt werden können, insbesondere in Natura-2000-Gebieten. Längst haben sich die heimischen Akteure zur EU-Biodiversitätsstrategie verpflichtet und leisten freiwillig aktive Beiträge, die häufig über gesetzliche Normen hinausgehen. Dennoch wird seitens der Baustoffindustrie befürchtet, dass die Gewinnung mineralischer Rohstoffe künftig stärker reglementiert wird, wenn die Anzahl jener Flächen steigt, die einem speziellen Schutz oder einem Verschlechterungsverbot unterworfen sind.

Rechtliche Klarheit wird gefordert

In der Abwägung zwischen der Forcierung von Rohstoffabbau (Erhöhung der EU-Eigenversorgung; Aufbau und Ausbau der Erneuerbaren-Energie-Infrastruktur) und Naturschutz/Biodiversitätszielen/Renaturierungserfordernissen geraten wirtschaftliche Argumente ab sofort stärker ins Hintertreffen. Unklarheiten am neuen Renaturierungsgesetz orten auch europäische Rohstoffverbände, allen voran Aggregates Europe – UEPG. Um das volle Potential bei bewährten Praktiken in den Wiederherstellungsplänen in den Abbaugebieten umsetzen zu können, brauche der mineralische Rohstoffsektor Klarheit über neu eingeführte Schlüsselkonzepte. Speziell rechtliche Klarheit in Bezug auf identifizierte Probleme und eine stärkere Einbeziehung lokaler Interessengruppen, wenn es um die Umsetzung der künftigen Bestimmungen zur Wiederherstellung der Natur geht. 

Lokale Akteure einbeziehen

Im gemeinsamen Positionspapier von Aggregates Europe – UEPG, Cerame-Unie, Eurogypsum, Euromines und The European Expanded Clay Assoiation, wird neben den Bedenken auch die Vorreiterrolle der mineralischen Rohstoffabbaustätten betont. Die Gewinnung von Rohstoffen sei eine zeitlich begrenzte Wirtschaftstätigkeit, die auf die Bereitstellung der benötigten Ressourcen ausgerichtet ist. In der Rohstoffbranche gehe es nicht nur um die Wiederherstellung von Land und Lebensräumen nach dem Betrieb, sondern auch um die Bewirtschaftung der Ökosysteme während der Betriebszeit. Gemeint sind nutzungsintegrierten Schutzmechanismen wie etwa die Nutzung von temporären Lebensräumen. Steinbrüche haben sich als Zufluchtsort für bedrohte Arten erwiesen. Für die EU gilt es Steinbrüche, Sand- und Kiesgruben sowohl als Rückgrat für die grüne Infrastruktur anzuerkennen als auch die geleistete Wiederherstellung der biologischen Vielfalt zu würdigen.